Die nachfolgende Abhandlung wurde wortgleich dem „Deutsches Wochenschach“ entnommen. Der genaue Zeitpunkt der Veröffentlichung, die in zwei Teilen erfolgte, kann dem vorliegenden Beleg nicht entnommen werden.
Der Artikel erschien auch in der Deutsche Schachzeitung des Jahres 1889 (Nr. 5, Mai, Seiten 154 - 157).
Der Text wurde dort vermutlich von der Redaktion überarbeitet, aller lateinischen Vokabel beraubt aber dadurch auch leicht verständlicher dargeboten. Außerdem fehlen dort die beiden Abbildungen und das Diagramm.
Hier nun die historische Abhandlung von Reinhold Schmidt:
Wer sich etwas mit der Geschichte des Schachspiels beschäftigt hat, der kennt wenigstens dem Namen nach das Buch: „Das Schach – oder Koenig – Spiel“ von Gustavo Seleno, in vier unterschiedlichen Büchern, mit besonders viel Fleiß, gründ- und ordentlich abgefasst. Auch mit dienlichen Kupfer – Stichen geziert, desgleichen vorhin nicht auszgangen. Diesem ist zu Ende, angefüget, ein sehr altes Spiel, genandt, Rythmomachia. Cum Privil: Caesareo ad Sexennium. Lipsiae. CI I CXVI.
Dieses Werk hat in der Schachliteratur und unter den Bücherliebhabern eine gewisse Berühmtheit erlangt, weniger wegen seines Inhalts, als wegen seinem Verfasser, seiner Seltenheit und seiner Ausstattung. Der Verfasser ist der gelehrte ► Herzog August Jüngere von Braunschweig – Lüneburg (Gustavus Anagramm aus Auguatus, Selenus von se????, luna, wegen Lunaeburgum oder Selenopolis, Lüneburg). Der hochverdiente Stifter der Wolfenbütteler Bibliothek, geb. 10. April 1579, gest. 17. September 1666. Derselbe unternahm nach Abschluss seiner Studien in Rostock und Tübingen eine Reise durch Italien, Frankreich und England, lernte wahrscheinlich in Italien die freie italienische Übersetzung (1584) des wichtigen spanischen Schachbuches von Ruy Lopez (1561) kennen und bearbeitete nach jener in der stillen Zurückgezogenheit zu Hitzacker a. d. Elbe, wo er bis zu seinem Regierungsantritt lebte, den Hauptinhalt (S. 174-424) seines oben genannten eigenen Buches. „Der Selenus“, wie man heute kurz sagt, fand durch verschiedene, öfter aufgelegte Auszuge in Deutschland Verbreitung, das Original dagegen zählte bald zu den Seltenheiten. Der Magdeburgische Geistliche J. F. W. Koch, welcher den Hauptteil in zweckmäßiger Umarbeitung seinem Werke „Die Schachspielkunst“ (Magdeburg 1801) einverleibte, gibt als Grund dafür an (Einl. 19. Anm.): „Dies Werk ist darum äußerst ► selten , weil teils nur wenige Exemplare abgedruckt sind, teils die großen Herren ein Buch, das so viel Aufsehen machte und ein damals unter ihnen sehr beliebtes Spiel betraf, zu besitzen wünschten, und daher den Verfasser veranlassten, die wenigen ins Publikum gekommenen Exemplare zurückzukaufen, um sie an die Bibliotheken der regierenden Herren zu ► verschenken. Die Ausstattung wird schon durch das Titelblatt als hervorragend und reich gekennzeichnet. Nach dem Schmutztitel („Ausführliche Beschreibung des Schach- oder König Spiels“) folgt nämlich der Haupttitel in sehr sorgfältigem Kupferstich, Bildgröße: 143 x 249 mm, in der Mitte ein freier Raum von 65 x 107 mm zur Aufnahme des Typendrucks, mit welchem der eigentliche, eingangs angeführte Werktitel hergestellt ist. Das Kupfer enthält vier bildliche Darstellungen: Oben die Belagerung von Troja, wo in einem Kriegszelte gewürfelt, in einem anderen Schach gespielt wird (Anlehnung an die Sage, das Palamedes vor Troja das Würfeln und das Schachspiel erfunden habe), unten die früher als geschichtlich betrachtete Tischgesellschaft, in welcher Columbus sein bekanntes Kunststück mit dem Ei gemacht haben soll (Columbus sowohl als Palamedes tragen die Züge des Herzogs August); links sind anscheinend bei beiden Brüdern Lydus und Tyrrhenus dargestellt, welche nach einer anderen Sage das Schach während einer Hungersnot erfanden, rechts ein Kriegslager, in welchem die Soldaten verschiedenen Unfug treiben (soldatischer Unfug und Tumult, aus Müßiggang entsprungen, spielt ebenfalls in die Erfindungssagen hinein). Jede der 5 Abteilungen des Werkes hat einen etwas kleineren, aber ebenfalls in Kupferstich mit ausgesperrtem Mittelfelde hergestellten Sondertitel ; die vier ersten dieser Abteilungstitel zeigen übereinstimmend, außer einigem schachlichen, figürlichen und ornamentalen Beiwerk, links die Gestalt des angeblichen Philosophen Xerxes Philometer, rechts den Tyrannen Amilinus Evilmerodoch, da nach einer weiteren Sage ersterer das Schach zur Besänftigung des letzteren erfundenen haben soll; der fünfte Abteilungstitel, vor der als Anhang beigegebenen ► „Rythmomachia“, weist in ähnlicher Weise Pythagoras mit einer Zahlentafel (als angeblichen Erfinder dieses Spiels), einen Gelehrten mit Lineal, Zirkel, Winkelmaß und einen Sänger mit Notenblatt auf (Anspielungen auf bestimmte Eigenschaften des Spieles). Außer den 6 Titelblättern enthält das Buch drei große zweiseitige Kupfer und 79 Kupferstiche im Text (Figuren - Diagramme usw.) darunter 26 ganzseitige; auch mit Initialen, Kopf und Trennungsleisten, sowie Schlussvignetten in Holzschnitt ist es reich ausgestattet.
Der bedeutendste und interessanteste Kupferstich findet sich zwischen Seite 216 und 217 (Bildgröße 222 x 173 mm) und stellt den fürstlichen Verfasser am Schachbrett dar, wie er eben eine ► Partie zu Ende geführt hat. Herzog August, dessen ► porträttreu aufgenommener Kopf des Werkes. anbei in genauer, nur 14/7 fach linear vergrößerter Nachbildung wiedergegeben ist, sitzt rechts vom Beschauer, ein wenig gegen den Tisch mit dem Schachbrett geneigt; links sitzt sein Partner, wahrscheinlich der Theologe Joh. Valent. Andreä, gest. 1654, am anderen Ende des Tisches ein Zuschauer mit gefülltem Weinglase, wahrscheinlich des Herzogs späterer Leibarzt, Dr. Martin Gosky; hinter Augusts Stuhl steht ein Diener, im Hintergrund zeigt sich rechts ein Tisch mit Trinkgefäßen usw., in der Mitte eine Bank mit abgelegtem Hut und Degen, links eine offene Tür, durch welche man ein Himmelbett erblickt. Alles ist streng realistisch und naturwahr behandelt. Dem Schachbrett und den Figuren hat der Zeichner die gewissenhafteste Sorgfalt gewidmet; jede der letzteren ist nicht nur genau in ihrer Eigenschaft als König, Dame, Turm u. s. w. zu erkennen, sondern steht auch an ihrer richtigen Stelle auf dem Brett, während die geschlagenen in einer Reihe auf dem Tisch geordnet sind.
Über Umfang und Inhalt des Werkes kann ich mich ► kurz fassen. Vorangeschickt ist eine Reihe, deren Anzahl in den verschiedenen Titelausgaben zwischen 12 und 16 zu schwanken scheint, mit dem kaiserlichen Privileg gegen Nachdruck, der Vorrede datiert: ► „Jetzelflies. Anno 1616, den 25. Juli. + “, einem Autoren - Verzeichnis, verschiedenen Huldigungsgedichten für den Verfasser u. s. w.
Dann folgen auf 495 paginierten Seiten die vier Bücher „Vom Schach-Spiel“ sowie das eine Buch: „Vom Zahl - Kampf“ und den Beschluss bildet ein Blatt mit Buchhändlersignet und Firmen: Ein wilder Mann hält ein Schild mit Hausmarke und Monogramm H. G. in der Umschrift Sic itvr ad astra, Unterschrift: Leipzig / Gedruckt durch Lorenz Kober. / Bey Henning Grosz den Jüngeren, / zu finden. / Im Jahre M. DC. Xvj. – Übrigens gibt es, wie vorher angedeutet, verschiedene Titelausgaben, welche sich jedoch nur durch die Jahreszahl auf dem Haupttitel (1616 bzw. 1617) und durch kleine typographische Abweichungen auf diesem und den ersten Blättern unterscheiden; außerdem hat die Titelausgabe 1617 auf der sonst leeren Seite (496) ein Druckfehlerverzeichnis. Die Druckbogen zeigen Quartsignaturen, das mehrfach angegebene Format dürfte nach heutiger Ausdrucksweise am besten im Hochquart ► Hochquart zu bezeichnen sein.
Will man Wert und Bedeutung des Buches beurteilen, dann muss man sich sowohl vor unbilliger Herabsetzung als auch vor Überschätzung hüten, was beides in der einschlägigen Literatur zu finden ist. Selenus war, wenngleich möglicherweise zu seiner Zeit der tüchtigste Schachspieler Deutschlands, doch kein hervorragender Meister, er schuf in der Hauptsache kein Original, er erhebt sich in Handhabung der deutschen Sprache, in Bezeichnung der Schachzüge u. s. w. nicht über seine Zeitgenossen, so dass dem Werke eine nicht geringe Schwerfälligkeit anhaftet; aber er widmet sich seiner Aufgabe mit liebevollster, weit über die Drucklegung hinaus ► reichender Hingabe, er hat mit großem Fleiße das erste umfassende Hand- und Lehrbuch des Schachspiels in deutscher Sprache geliefert, er ist für die finstere Schachzeit Deutschlands von ca. 1550 bis 1750 die einzige Leuchte, er hat lange Zeit, ja in Koch´scher Bearbeitung noch während des ersten Drittels unseres Jahrhunderts zur Ausbildung zahlreicher Schachspieler beigetragen und er hat uns manche für die Geschichte des Schachspiels wichtige Einzelheiten aufbewahrt.
Eines der Selenus Exemplare, welches Herzog August an andere Fürstlichkeiten verschenkte, befindet sich jetzt im Besitze des Unterzeichneten. Es ist die Titelausgabe von 1617, Originalprachtband (Geschenkband) in braunem Kalbleder, mit reicher Goldpressung auf Rücken und Deckel (Ornamente im Geschmacke damaliger Zeit, Vorder- und Rückseite gleich), sowie mit ciselirtem Goldschnitt. Statt der Schlissen haben zwei Paar Seidenbänder in den braunschweigischen Landesfarben, Blau und Gelb, gedient. Sie sind jetzt bis auf kleine Reste abgerissen, die Einbanddecken zeigen an einigen Stellen leichte Beschädigungen, die Goldpressung ist zum Teil verblichen oder geschwärzt, dagegen der Goldschnitt sowie das eigentliche Werk vorzüglich erhalten und schwerlich jemals gebraucht.
Im Druckfehlerverzeichniss finden sich zwei eigenhändige Nachträge des Verfassers, besonders aber interessiert dessen eigenhändige Widmung auf der Rückseite des Haupttitels, welcher hier im Faksimile folgt:
Die ersten Zeilen der Widmung bis einschlißlich „Schachbuch“ sind leicht zu lesen; die dann folgenden lauten mit den nötigen Ergänzungen: Zur f(reundlichen) ► gedichtnuss, S(ein) l(ieber) aller Zeit dienstwilliger Vetter, August D(er) J(üngere) H(erzog) z(u) Br(aunschweig) ► Lüneburg u. s. w. den 28. (Septem ► bris (anno) 1617. ► M(anu) S(ua).
Der mit dem Buche beschenkte war ein Verwandter des Verfassers, Herzog Hans oder Johannis von Braunschweig - Lüneburg Celle, gest.1628. Er verschenkte es bald wieder, da sich auf der Vorderseite des Haupttitels ebenfalls eine handschriftliche Eintragung findet: Ex liberalitate Illustris.simi princips ac d (omi)ni, d(omi)ni Joannis ducis Bruno- / wicensiumet L nnaeb (urgensium) possideo Ego Marquardt von Hodenberg , aus dem alten niedersächsischen Geschlechte gleichen Namens, war Statthalter in Grubenhagen , Landdrost von Osterode und Verfasser einer ► Familien-Chronik.
Ehe dieses Exemplar durch buchhändlerische Vermittlung an mich gelangte, befand es sich in der Frhr. V. Arndswaldtschen Bibliothek in Hannover, über deren Begründer K.F.A. von Arndswaldt, gest. 1845) und Vermehrer (A. von Arnswaldt, gest. 1855) die „Deutsche Biographie“ Auskunft gibt, letzterer hat auch seinen Namen in das Buch eingezeichnet.
Außerdem sind mir noch verschiedene andere Selenus-Exemplare bekannt geworden, wovon sicher 5 ebenfalls eigenhändige Widmungen enthalten.
Die Besitzer sind:
1. – 3. Die Wolfenbütteler Bibliothek,
4. – 6. Hr. Buchhändler A. Rögner in Leipzig, die Exemplare sind verkäuflich, ein darunter befindliches sehr schönes Widmungsexemplar setzt er in seinem Katalog mit 250 Mk. an, würde es aber jetzt für 70 Mk. geben,
7. der engl. Schachschriftsteller Duncan Forbes (1860),
8. das ► Schachdorf Ströbeck unweit Halberstadt,
9. die Bibliothek zu Unser Lieben Frauen in ► Magdeburg
10. der Schachklub zu Braunschweig,
11. und 12. Hr. T. v. Heydebrand u. d. Lasa in Wiesbaden,
13. Hr. H. Credner in Leipzig,
14. Hr. M. Elsner in Tangermünde,
15. Hr. H. Z w a n z i g in Leipzig,
16. Hr. E. Krell in Untermhaus b. Gera (verkäuflich). –
Ferner hat H. v. der Lasa die Güte gehabt, mir ca. 18 weitere Exemplare teils als sicher, teils als wahrscheinlich nachzuweisen, über welche erst durch Umfragen Näheres ermittelt werden musste. Für Mitteilungen über ►sonstige Exemplare bin ich jeder Zeit dankbar.
Die Tooltips sind Originalanmerkungen aus dem „Deutschen Wochenschach“